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„Ich wollte einen Lupeneffekt haben“

von Lukas Wilhelmi

abgedruckt in der Festivalzeitung des KSJR 2012

2. April 2012

Als Ana Zirner über Klassikern der Theaterliteratur brütet, stellt sie fest, dass sie sich viel mehr für die Nachrichten auf Al Jazeera und die Ereignisse im mittleren Osten interessiert. Sie beginnt zu recherchieren, lernt Leute kennen, unter anderem den iranischen Jazzmusiker des späteren Projekts Amir Nasr, baut Kontakt in den Iran auf, fliegt nach Teheran und Isfahan, führt dort insgesamt 40 Stunden Interviews, kommt zurück nach Deutschland, übersetzt, konzentriert die anfänglichen 120 Seiten Stoff zusammen mit ihren Schauspielern auf 20. Die darauf basierende 70-minütige Aufführung FRÜHLING und HOFFNUNG =BAHAR und OMID ist sie nun in Hamburg zu Gast. Mit der Regisseurin sprach Lukas Wilhelmi.   


Ana, du hast ein realpolitisches und ein intimes Projekt entwickelt. Was erhoffst du dir von solch einer Form von Theater, die es ja nicht häufig gibt?

Als allererstes stellt sich ja die Frage, was ist realpolitisch. Real ist an meinem Projekt, dass reale Texte verwendet werden, eins zu eins abgetippte Dialoge, transkribierte Interviews. Insofern hat es eine höhere reale Ebene. Durch die Umsetzung auf die Bühne wird es aber wieder Theater – und Theater ist nicht real. Theatermacher heute haben, glaube ich, Angst vor der verstaubten Form des Dokumentartheaters. Ich mag auch den Begriff des „New Documentary Theatre“ lieber, denn letztlich geht es auch mir immer um die Suche nach neuen Darstellungsformen für den politischen Inhalt.


Es ist eine politische Entscheidung diese Dialoge dann auf die Bühne zu bringen. Genauso wie die Bearbeitung und Konzentration des Materials.

Ja. Aber die Bearbeitung dieses ganzen Materials war schwierig zu rechtfertigen.


Mit welchen Einwänden wurdest du konfrontiert?

Es stellte sich immer die Frage: Warum bringt man so etwas auf die Bühne? Warum macht man über so etwas keinen Dokumentarfilm oder warum druckt man die gesammelten Texte nicht einfach ab? Erst im Produktionsprozess stellte ich fest, dass durch die Verfremdung, die der Theatervorgang automatisch inne hat, ein Dokumentarfilm aber zum Beispiel auf eine ganz andere Art besitzt, etwas Neues entsteht: Dadurch dass ich etwas Iranisches umsetze, auf einer deutschen Bühne, mit deutschen Schauspielern, in einem ganz anderen Kontext, und es künstlerisch verfremde, mit Videos, mit Musik, durch diese ganzen Anreicherungen, entsteht einerseits eine Distanzierung. Anderseits aber schafft gerade diese Entfernung die Möglichkeit dem Thema viel näher zu kommen. Die Distanz, die das Theater als Kunstform zur Realität hat, kann als Lupe fungieren: Es kann einen neuen Zugang zu den behandelten Themen schaffen und so zu einem größeren Verständnis beitragen.


Und du möchtest es dem deutschen Publikum näher bringen?

Genau. Ich versuche, durch die Deutschen aus dem Iran erzählen zu lassen. Aber für die Deutschen. Ich bin ja keine Iranerin. Zu Beginn meiner Arbeit, war ich noch nie dort gewesen. Es wäre vollkommen anmaßend gewesen, etwas anders zu versuchen.

Ist die Entscheidung nur zwei Schauspielern auf der Bühne zu haben auch aus diesem Grund gefallen? Damit es überschaubar bleibt, nicht überkomplex wird.

Da spielen mehrere Gründe eine Rolle. Ich arbeite z.B. einfach gerne ich kleinen Teams. Und ich wollte von einer Geschwisterbeziehung erzählen. Ich wollte von einer globalen Beziehung erzählen, die jeder kennt, jeder nachvollziehen kann. Weil man dadurch einen Zugang zu diesen Menschen schafft. Das hat auch etwas Intimes. Ich wollte einen Lupeneffekt auf der Bühne haben. Wie bei einem Youtube-Video, das man anhält, reinzoomt und auf irgendeinem Gesicht stehen bleibt und sagt: Das ist jetzt von diesem Menschen die Geschichte.


Familie und Geschwister sind ja sehr universelle Formen… 

Die im Stück behandelten Kindheitserfahrungen könnten zu, sagen wir, 50 Prozent genauso gut auch in Deutschland stattgefunden haben. Bis zu dem Punkt, an dem jemand sagt: ‚Mein Vater ist nicht nach Hause gekommen, weil er auspeitscht wurde‘.

Du sprachst die Youtube- und Handybilder bereits an. Man kennt die Aufstände im Iran, etwas später den arabischen Frühling, nur von Bildern, die verwackelt und verpixelt sind. Verleiten diese auch dazu, sie weg zu schieben? Zu sagen: Damit hab ich nichts zu tun?

Das Video ist etwas, das wir kennen, das Vertrautheit schafft. Das Video ist eine eigenständige Realität, die auch berühren kann – und trotzdem bleibt das Video in seinen ganzen Eigenarten unpersönlich. Im Gegensatz zu den Körpern der Schauspieler, die „echt“ vor uns stehen und uns persönlich etwas erzählen. Für unsere Generation ist die NS-Zeit ja auch immer nur Schwarz-Weiß. Und die Aufstände im Iran, und dann später der arabische Frühling, sind für uns verpixelt.   


Und kann das Theater diese Wahrnehmungen aufbrechen?

Auch das Theater kann nicht sagen, wie es wirklich ist. Es kann versuchen einen Eindruck zu vermitteln, aber es hat keinen Wahrheitsanspruch. Ich möchte trotzdem lieber über so etwas erzählen, mit den Mitteln, die ich habe. Ich möchte lieber mit den Realitäten des heutigen Tagesgeschehens umgehen und mich künstlerisch der Suche nach einer für das Material angemessenen und interessanten Übersetzung für die Bühne widmen, als den 50.000. Hamlet zu machen. 


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